SCHIEFLAGE - Damit Sie in jeder Lage schief gewickelt sind!
Das Magazin für Sozialschmarotzer und sonstiges Gesinde

Vollkornpizza gegen das Wettrüsten

Exakt dreißig Jahre nach der Ratifizierung des NATO-Doppelbeschlusses durch den Deutschen Bundestag, plant die USA eine umfassende Modernisierung ihrer in Deutschland stationierten Atomwaffen. Damals gingen Millionen von Menschen auf die Straße, um gegen das atomare Wettrüsten zu demonstrieren – heutzutage wird der Protest sachlicher und besonnener, um nicht zu sagen: subtiler geführt – wie die Beispiele zahlreicher Menschen, die damals wie heute Widerstand leisten, beweisen:

Andy F. (46): „Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie das war, als wir 1983 in Bonn demonstrierten. Eine halbe Millionen Menschen im Hofgarten, und Willy Brandt war da, und Heinrich Böll. Da haben wir gedacht: „Mensch, die können uns länger ignorieren!“ Doch eine Woche später hat unsere scharfe Mathelehrerin, die Frau Fricke, den Sportlehrer Ullrich aus der Unterstufe geheiratet, da waren alle Jungens aus meinem Jahrgang total geschockt, und das war uns eine heilsame Lehre. Trotzdem: Als ich das von der Modernisierung der B61 gehört hatte, da habe ich spontan wieder Bölls „Ansichten eines Clowns“ herausgekramt. Dabei habe ich das Buch noch nie gemocht – aber in Zeiten wie diesen, da muss man einfach Opfer bringen.“

Petra „Hilde“ W. (50): „Nach der Kundgebung hatte ich mich für die Friedensbewegung geschämt. Überall lagen Papierfetzen, Protestschilder und leere Flaschen herum. Es stank nach Bier, Schweiß und Urin. Als der atomare Feuersturm ausblieb, bin ich deshalb Reinigungsfachkraft geworden. Ich mache jetzt in Büchel die Hallen sauber. Da sind die Tornados stationiert, die die B61 abwerfen sollen. Dabei leiste ich zivilen Ungehorsam, denn die Raketen selber putze ich nicht – da können die Amis sie noch so sehr modernisieren: dreckig bleiben sie trotzdem. Und der Herr Obama wird sich schön schämen, wenn seine Mutter mal den Stützpunkt besucht und mit dem Finger über die B61 fährt.“

Karin F. (49): „Wir haben uns nach über dreißig Jahren ganz spontan das erste Mal wiedergetroffen, um zu demonstrieren: der Martin, die Gudrun, der Jürgen und ich. Wir sind dann aber bei der Gudrun daheim geblieben, weil ihr Sören gerade unter Mumps litt und es außerdem so schlimm geregnet hatte. Stattdessen haben wir aus Protest eine Kerze ins Küchenfenster gestellt und Vollkornpizza gebacken. Dazu haben wir uns einen renitenten Chianti eingeschenkt und diese total chillige Barjazz-Version von „We Shall Overcome“ mit dem expressiven Marimba-Solo gehört, immer und immer wieder. Und wir haben verschwörerisch im Takt dazu mitgesummt – erst ganz sanft, dann immer wütender. Dann hat der Martin „Das weiche Wasser bricht den Stein“ gesungen und ganz enthemmt Luftgitarre dazu gespielt. Wir wollen jetzt jedes Wochenende eine „Samstagsdemo“ machen – solange, bis das atomare Wettrüsten ein Ende hat. Nächsten Sonnabend bin ich die Gastgeberin. Ich backe eine Möhren-Quiche und danach veranstalten wir ein Sit-In mit Reinhard-Mey-Karaoke, dass es sich nur so gewaschen hat.“

Markus „Django“ T. (52): „Als nach dem NATO-Doppelbeschluss alle wieder zur Tagesordnung übergegangen sind, habe ich mir überlegt: Django, du musst die Welt schöner machen, denn in einer schönen Welt braucht niemand einen Atomkrieg. So bin ich in die Sprüher-Szene geraten und habe viele graue Häuser mit meinen Graffiti in bunten, nichtkonformen Lebensraum verwandelt. Heute leite ich eine renommierte Agentur für großflächige Objektkunst, und wir haben gerade einen großen Deal mit den Amis ausgehandelt, wonach wir ihre neuen B61-12 Raketen mit lebensbejahenden Motiven besprühen. Das ziehen wir aber durchaus auch ein wenig amerikakritisch auf, zum Beispiel soll der verschnörkelte Graffiti-Schriftzug „Why?“ den Betrachter zum Innehalten und Meditieren einladen. Ich glaube nicht, dass die Amis etwas abfeuern, was so schön ist. Und wenn doch: Kunst muss ja ein bisschen wehtun. Und vielleicht erreichen wir dann ja auch mal den einfachen Mann von der Straße mit unserer Botschaft.“

Andrea S. (56): „Damals ergab das mit dem Atomkrieg für mich alles keinen Sinn. Doch dann habe ich die Botschaft des Herrn vernommen, und plötzlich wurde mir alles klar: Die zehn Plagen, die Sintflut, der NATO-Doppelbeschluss – man muss das alles in einem größeren Kontext sehen, sozusagen wie Gott auf die Dinge draufschauen. Und da habe ich den Sinn erkannt. Seitdem nehme ich regelmäßig Medikamente dagegen.“

Jutta B. (48): „Was die wenigsten wissen: Wenn diese Atomraketen gezündet werden, verdunkeln Unmengen von Staub und Rauchpartikeln die Atmosphäre. Dieses Phänomen bezeichnet man als „atomaren Winter“. Deshalb müssen die Atomraketen weg. Denn nur, wenn diese Luschen von Staatspräsidenten endlich mal den Arsch in der Hose haben, den roten Knopf zu drücken, bietet sich die Möglichkeit, der globalen Klimaerwärmung nachhaltig entgegenzuwirken. Seit letztem Dienstag demonstriere ich mit einer Mahnwache vor der amerikanischen Botschaft friedlich für den Atomkrieg, damit meine Kinder und Kindeskinder einmal eine gesunde und lebenswerte Welt von uns übergeben bekommen.“

Michael K. (46): „Als das mit dem NATO-Doppelbeschluss aufkam, hatte ich ziemlich Angst. Um mir meine Ängste von der Seele zu schreiben, hatte ich für unsere Schülerzeitung ein Gedicht über einen Schmetterling und die Atombombe verfasst. Am Ende des Gedichts war der Schmetterling tot, doch die Hoffnung lebte weiter. Oder umgekehrt. Einige Mädchen in meinem Jahrgang fanden das total süß, wie sensibel ich war. Mit mir schlafen wollte trotzdem keine. Deshalb beschloss ich, das Dichten aufzugeben und Satiriker zu werden. Falls ich mit diesem Artikel endlich mal eine rumkriegen sollte, wäre der atomare Wahnsinn schlussendlich doch noch zu etwas gut gewesen.“

Sie sind der 331416752. Besucher seit ich herausgefunden habe, wie man diesen Zähler manipuliert.   

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