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Das Magazin für die deutsche Frühstückspause

Literaturwissenschaft heute:

Gott schmökert nicht!

Bereits lange bevor die Sonne aufgeht, finden sich die ersten Demonstranten vor den schwer bewachten Toren des Genfer Metrumsbeschleuniger CERN (Chaos erzeugender Reim-Nihilator) ein. Eine gespannte Spannung herrscht inner- und außerhalb des Laboratoriums. Niemand weiß genau, was beim erwarteten Erscheinen des "Gottesteilchen" passieren kann, wenn das Team um den Freiburger Literaturprofessor Dr. Hartmuth Willkuer Goethes "Erlkönig" bei einer Lesegeschwindigkeit von Dieter Thomas Heck wieder und wieder mit dem Gedicht "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Bachmann beschießen wird. Die meisten der Demonstranten haben Angst, dass die Welt bei diesem Experiment in einer riesigen Sprechblase implodieren wird. Niemand hat hier vergessen, wie am 6. August 1945 ein von Ezra Pound eigens zu diesem Zweck verfasster Schüttelreim mit dem Titel "Little Boy" die Stadt Hiroshima in Schutt und Asche legte. "Um wievieles größer muss die Zerstörungskraft erst sein, wenn in die Tiefenstruktur eines Gedichtes eingegriffen wird?", mahnt ein übernächtigter Demonstrant und Vater dreier Kinder mit Bildungsschichtenvornamen, während er versucht, den Schutzzaun des Geländes mit Heinz-Erhardt-Gedicht zu tapezieren und sein fünfjähriger Sohn Johann-Amadeus ein selbstgemaltes Transparent mit dem Schriftzug "Spielt nicht leichtfertig mit der Magie unserer Worte!" trotzig in die Höhe reckt.

Dr. Hartmuth Willkuer lässt die Skepsis der Wissenschaftsgegner kalt: "Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. So steht es bereits im Nibelungenlied geschrieben. Und trotzdem fragen sich Dichter, Denker und Aldi-Kassiererinnen auch heute noch, wie die das Göttliche eigentlich in die Sprache hineingekommen ist und was es dort überhaupt zu suchen hat. Wir stehen nun kurz davor, das letzte Rätsel unseres Universums endgültig zu lösen und Gottes unergründlichen Wegen auf die Schliche zu kommen."

Voller Stolz zeigt uns der promovierte Elementardichtungsphysiker den 26.659 m langen LHC (Literatur-Häcksel-Controller). Fast zwei Jahre suchte man mit ihm nach dem "Gottesteilchen", einmal schien man es sogar schon gefunden zu haben. Doch bei genauerer Überprüfung stellte sich heraus, dass sich nur eine Fliege auf den Detektor gesetzt hatte. "Als ich nach einem frustierenden Arbeitstag nicht einschlafen konnte und zur Entspannung ein paar späte Gedichte von Paul Celan las, fiel es mir wie Schuppen von den Augen", schildert Willkuer den entscheidenden Durchbruch. "Wir hatten den Fehler gemacht, Prosatonen aus der 'Blechtrommel' einzuschießen. Dabei hatte doch bereits Albert Einstein erkannt: 'Gott schmökert nicht'. Das Göttliche offenbart sich nur im gedichteten Wort: 'Doch uns gebührt es, unter Gottes Gewittern, Ihr Dichter! mit entblößtem Haupte zu stehen, des Vaters Strahl, ihn selbst, mit eigener Hand zu fassen und dem Volk ins Lied gehüllt die himmlische Gabe zu reichen', so formuliert Friedrich Hölderlin überaus pathetisch, völlig unwissenschaftlich, aber sachlich richtig die kosmische Wortwerdung."

Seit Jahrzehnten quälte Willkuer die Frage, wie spirituelle Energie überhaupt eine feste literarische Form bekommen kann. Und was hält all diese Grapheme, Serifen und Majuskeln in ihrem Innern zusammen? Um dieses Phänomen erklären zu können, postulierte er die mutmaßliche Existenz eines "Gottesteilchens", das sogenannte Hicks-Semeion (gesprochen: "Hicks-Schmeijonrüüülps!" mit hartem gutturalen Knacklaut), benannt nach Schroedingers Kater, den der dionysische Rausch des Leseprozesses oftmals nach sich zieht. Das Gedicht vergleicht Willkuer mit einer Chill-Out-Party, auf der ein Dichter erscheint. Sobald der Poet die metaphorische Tanzfläche des Schreibprozesses überquert, scharen sich sofort massenhaft Hicks-Teilchen um ihn und bremsen ihn ab, in dem sie ihm in den Arsch kriechen und ihm versichern, wie toll sie es finden, dass heutzutage überhaupt noch jemand Gedichte schreibt. Dabei gewinnt der Dichter beständig an Größenwahn. Der lyrische Moment ist der, wo er sich hackedicht die vielen Hugos großkotzt, in aller Öffentlichkeit die Worte aufs Parkett klugscheißt und sich hinterher noch mit seiner Schreibmaschine den Arsch abwischt.

In Genf hat sich die öffentliche Empörung nach ein paar Minuten gelegt. Selbstzufrieden ziehen die Demonstranten ab; die Zerstörung der Welt scheint fürs erste vertagt worden zu sein. Doch nach einigen wenigen erfolglosen Versuchsreihen entdecken die hochsensiblen Lyrikdetektoren dann tatsächlich mehr als nur die üblichen Blankverse, Trochäen, Schüttelreime, Pentameter, Schmutzlimericks und 97 mal den Buchstaben D. Verborgen zwischen zwei Kadenzen leuchtet für einen verlorenen Augenblick von 0,03 µProust das Wort "SchLupschwächsz" auf, das sich wahrscheinlich unter dem Einfluss Dunkler Gedanken aus den instabilen Bestandteilen der bachmannschen Schwadronen "Schuh" und "Lupinen" sowie den goetheschen Lektonen "geschwind" und "ächszend" gebildet zu haben scheint. Willkuer ist sich sicher, dass es sich bei "SchLupschwächsz" um das lange gesuchte "Hicks-Semeion" handelt.



Trotzdem bleiben auch nach der Entdeckung des Gottesteilchen viele Fragen ungeklärt. Zum Beispiel, ob es wirklich nur ein Hicks-Semeion gibt. Neuere Theorien sagen nämlich weitere Gottesteilchen wie "ErlschnürFisch", "Eingedüsterstreif" oder "SmuuIkljhäü" voraus, die so dermaßen absurd klingen, dass sie sich selber unheimlich sind. Andere Hypothesen, wie die sogenannte "String-Theorie", gehen davon aus, dass Ingeborg Bachmann beim Schreiben ihres Gedichts einen String-Tanga getragen hatte.

Für Dr. Hartmuth Willkür sind diese Fragen ohne Belang: "Gott ist eine Frage der Qualität und nicht der Quantität. Und wer will sich Frau Bachmann schon in einem String vorstellen?" Seiner Meinung nach hat ein neues Zeitalter begonnen, in dem Mensch und Gott durch die Sprache der Dichtung wieder vereint sind: "Bereits der deutsche Hobbyphilosoph Martin Heidegger hatte erkannt, dass die Sprache spricht. Wer mitreden will, sollte sich deshalb unbedingt einen 27 km langen Teilchenbeschleuniger in sein Wohnzimmer stellen – denn sonst quatschen unsere Sprache und wir völlig aneinander vorbei." Und über seinen eigenen bescheidenen Beitrag zur Wiederentdeckung des Paradieses sagt Willkuer: "Am Ende war das Wort und das Wort war bei mir und das Wort war SchLupschwächsz."

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