SCHIEFLAGE - Damit Sie in jeder Lage schief gewickelt sind!
Das Magazin für Jugendliche in der Midlife-Crisis

Gib mir deine Liebe, gib mir deine Hand

"Der Traum ist ein Traum, zu dieser Zeit, doch nicht mehr lange, mach dich bereit für den Kampf um's Paradies!" Die Liedzeile des alten "Ton Steine Scherben"-Songs zerschneidet die vom Zigarillorauch milchig gewordene Luft im Kesselhaus einer stillgelegten Zeche irgendwo im Ruhrpott. "Das Paradies wird einem nicht geschenkt." Rüdiger, den alle nur Lima nennen, weil er zwar genauso engagiert wie sein großes Vorbild Rio Reiser, aber längst nicht so schön ist, weiß ein Lied davon zu singen. "Nichts wurde mir im Leben geschenkt. Von meiner ersten erschnorrten D-Mark als Punker im Einkaufszentrum 'Ruhrperle' bis zu meiner ersten Millionen als Immobilientycoon war es ein steiniger Weg." Viel Leid und Elend begegnete Lima damals auf der Straße. Er spendet heute für Obdachlose und Straßenkinder. "Doch als ich von den zahlreichen Bürgervereinigungen las, die überall in der gesamten Republik Tag Nacht für Nacht unsere Straßen sichern, reifte in mir der Entschluss, mich auch persönlich zu engagieren."

Seine neu gegründete Bürgerwehr "Könige von Deutschland" hatte zunächst mit vielen Vorurteilen zu kämpfen: "Schwarz und weiß war gestern. Der Staat hat doch sein Gewaltmonopol längst an Schlepperbanden, Drogenkartelle und gutbetuchte Pädophile verkauft. Stichwort: 'Wehrhafte Demokratie.' Wenn wir mündigen Wutbürger in diesen Grauzonen nicht aufräumen würden, wer dann? Wenn einer Charlie ist, dann sind wir das doch!"

Die Antifa versuchte die Bewegung natürlich sofort ins rechte Spektrum zu rücken: "Wir sind aufrechte deutsche Bürger und keine Neonazis. Ganz im Gegenteil. Was der Hitler mit den Juden gemacht hat, war nicht richtig. Die sind doch die einzigen, die sich heute noch trauen, gegen den Internationalen Terrorismus ins Feld zu ziehen. Deshalb würden wir auch gerne die örtliche Synagoge schützen. Die ganzen Hakenkreuzschmierereien an den Wänden schrecken uns allerdings ab. Mit so etwas wollen wir nicht in Verbindung gebracht werden."

"Diese ganze Faschismus-Debatte kotzt mich an. Mein Motto lautet: Lebst Du schon, oder diskutierst du noch?" - Henne weiß, wovon er spricht. Er hat bei Habermas studiert und war damals Sozialreferent im AStA. "Was haben wir bis tief in die Nacht über Deliberation und politische Utopien gestritten - natürlich immer sachlich und die Ansichten des Gesprächspartners respektierend. Doch hat das die Welt auch nur ein Jota vorangebracht? Als dann noch das Schlagwort vom 'linken Faschismus' aufkam, da ist mir der Kragen geplatzt. Gutmenschen sind Theoretiker. Wer handelt, wird immer zum Faschisten. Wenn ich beispielsweise einen Gewalttäter zu Tode prügele, bevor er ein Verbrechen begehen kann, rette ich dadurch doch ein unschuldiges Leben. Nur, weil ich Schüler der Frankfurter Schule bin und es gut gemeint habe, soll ich ein 'linker Faschist' sein? Da bin ich doch lieber ein 'ordentlicher' Faschist, indem ich gleich einen Türken, Schwarzen oder mutmaßlichen Terroristen als potentiellen Gewalttäter wähle, den es unschädlich zu machen gilt. Menschenrechte hin oder her - wir wissen doch alle, wie die drauf sind. Das liegt in ihrer Kultur begründet, da mache ich ihnen auch persönlich gar keinen Vorwurf. Wenn wir etwas aus dem Nationalsozialismus gelernt haben, dann doch wohl, dass wir uns präventiv wehren dürfen, wenn gewaltbereite Individuen und Organisationen unsere demokratische Gesellschaft von Innen aushöhlen wollen. Schlussendlich verbessern wir auch das Ansehen der guten Ausländer, wenn wir die bösen eliminieren. Kant hat gefordert: 'Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.' Der Gesetzgeber kann uns nicht vor Mord und Totschlag schützen. Doch es gibt das ungeschriebene Gesetz der Straße. Wir, das Volk, haben die Macht, durch unser Handeln dieses Gesetz zu schreiben. Das ist die normative Macht des Faktischen. Nur weil man Faschist ist, ist man doch nicht weniger Gutmensch. Man ist nur bereit, auch mal ein wenig falsches Blut für die richtige Sache zu vergießen. Irgendwie tun mir all diese Trauerklöße, die sich selber in ihrem moralischen Elfenbeinturm eingeschlossen haben und sich ohnmächtig von der Ungerechtigkeit der realen Welt abwenden, leid. Nur Handeln macht frei!"

"Sloterdijk versteht unter Linksfaschismus ja eigentlich auch den 'Realsozialismus', wie wir ihn bei uns in der DDR hatten." Pitbull kommt aus Rostock und hat viel zu spät rübergemacht, als es im Ruhrpott auch schon nichts mehr zu holen gab. "Die Stasi war da ja viel zu zimperlich mit den Montagsdemonstranten. Wir hätten damals schon eine Bürgerwehr gründen und ihnen so richtig auf die Fresse hauen sollen. Dann würde es heute vielleicht noch eine DDR geben. Ich meine, man kann doch über den Arbeiter- und Bauernstaat sagen, was man will. Aber es gab wenigstens keine schwarzafrikanischen Drogendealer, keine Flüchtlingsproblematik, keine Schwulis, die sich in aller Öffentlichkeit abgeschleckt haben und vor allem keinen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Außer vielleicht in der 'Staatsanwalt'-Folge 'Erzwungene Liebe' - aber es ist ein offenes Geheimnis, dass die Fälle gar nicht so authentisch waren, wie immer getan wurde." Pitbull hängt gerade ein Bettina Wegner Plakat neben das Che Guevara Poster. "Denkt nur mal an den Fall der kleinen Emma, der in den letzten Wochen durch die Presse ging: Ich könnte heulen, wenn ich mir vorstelle, wie irgend so ein kranker Kinderficker die Kleine rangenommen hat, ihr die Unschuld geraubt hat, ihr den nach Hilfe schreienden Mund zugehalten hat, wie sie nach Luft röchelte und ihre Augäpfel aus dem zarten Kopf zu springen schienen, während er immer fester und fester sein Geschlecht in ihr Innerstes bohrte und erschrocken spürte, wie alles Leben aus ihr wich, genau in dem Moment als sein lebensspendender Saft der Lust sie überflutete."

Die Musik ist verstummt und ein betretenes Schweigen erfüllt den Raum mit Kälte, Pitbull zündet sich erst mal eine Kippe an. "Noch schauen alle weg. Doch was, wenn es beim nächsten Mal ein kleines Migrantenkind erwischt?", fragt Henne in die Runde. Um das Unbehagen aus dem Kesselhaus zu vertreiben, startet Lima die CD von Neuem. Aus den Boxen hallen die Liedzeilen: "Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst, es ist unsere Zukunft, unser Land. Gib mir deine Liebe, gib mir deine Hand." 

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