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"Der Mensch ist zum Zynismus verurteilt"

Interview mit dem Polit-Psychologen Prof. Dr. Marius von Zweisilb über den „Großen Führer“ Kim Jong Un, politische Sandkastenspiele und Bitterfeld am Totensonntag

Herr Prof. Dr. Zweisilb, Ihre Kernforderung lautet: Der Westen muss den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un in seine Arme schließen.

Sehr richtig. Denn was passiert, wenn man ein Kind auf dem Pausenhof nicht mitbolzen lässt? Es verschließt sich, nässt sich nachts ein, und sobald es groß genug ist, um an Papis Waffenschrank zu kommen, macht es sich verständlicherweise einen Spaß daraus, seine Mitschüler an der Wumme lutschen zu lassen.

Es will doch aber niemand mit einem Psychopathen mit einer geladenen „Wumme“ spielen …

Hunde, die bellen, beißen nicht – solange man ihnen nicht auf den Schlips tritt. Aber diese ständige Nörgelei: „Kim ist größenwahnsinnig, Kim ist ein Sadist, Kim lässt seine Bürger verhungern“, geht auch dem räudigsten Despoten irgendwann mal an die Nieren. Man sollte ihn stattdessen auch mal loben. Zum Beispiel dafür, dass er das Problem des Hungers couragiert angeht: Je mehr Nordkoreaner verhungern, desto mehr bleibt für die Hinterbliebenen übrig. Auf diese Weise wird das Land die Hungersnot in spätestens zwanzig Jahren überwunden haben.

Das ist zynisch …

Das ist realistisch. Wir haben den Hunger in Europa mit Hilfe der Pest besiegen können. Stellen Sie sich nur mal das Geschrei der freien Welt vor, wenn Kim sein eigenes Volk mit biologischen Waffen satt kriegen würde.

Und ein paar Streicheleinheiten machen aus dem bissigen Rottweiler bereits einen handzahmen Zwergpudel?

Es ist jedenfalls ein Fehler, Kim Jong Un zu dämonisieren. Der „Oberste Führer“ gefällt sich doch in der Rolle des Dr. Mabuse, der die Welt in Angst und Schrecken stürzt. Wenn die anderen Kinder ihn mit in den Sandkasten lassen und im deutlich machen würden: „Nordkorea ist genauso ein Schurkenstaat wie du und ich, und wir haben alle unsere Leichen im Keller dieses Sandkastens liegen“, dann würde Kim ganz schnell gefallen daran finden, gemeinsam mit der westlichen Wertegemeinschaft für das Gute im Sand zu buddeln.

Vom Saulus zum Paulus – nur für ein paar Sandburgen?

Unterschätzen Sie nicht, wie einsam man sich als Diktator fühlt, wenn man die größten und schönsten Militärparaden abhält, doch keiner, außer einem selbst, dabei zuschaut. Und natürlich reizen auch die dekadenten Verlockungen des goldenen Westens. Wenn man jeden Tag nur schwarzhaarige Hungerhaken ins Bett gelegt bekommt, lässt man sich auf einem G-21-Gipfel doch auch gerne mal eine dralle Blondine ausgeben.

Sie glauben, dass durch diese Zweckehe Nordkorea ein Stück weit westlicher werden würde. Befürchten Sie aber nicht auch, dass Nordkorea umgekehrt ein wenig auf den Westen abfärben könnte?

Laut Sartre ist „der Mensch zur Freiheit verurteilt.“ Eine starke Führung und ein wenig Drill würde dem Menschen, der sich der Freiheit einer neoliberalen Wirtschaftsordnung hilflos ausgesetzt fühlt, vielleicht von seinen irrationalen Ängsten ob dieses Urteils erlösen. Und sehen wir es doch realistisch: Wir können es uns auf Dauer einfach nicht leisten, ein Land wie Nordkorea, mit seinem Potenzial und seinen Ressourcen, nicht nach Strich und Faden auszubeuten. In den zahlreichen Gulags könnten Textilien noch wesentlich billiger produziert werden als in Indien oder Bangla Desh. Und denken Sie nur an die Organe der zahlreichen politischen Gefangenen, deren ungebrauchter Verdauungstrakt noch völlig neuwertig ist. Man könnte so viel Gutes mit ihnen anstellen – stattdessen verwesen sie in anonymen Massengräber vor sich hin.

Wollen Sie damit sagen, dass Deutschland sich mit den Organen nordkoreanischer Oppositioneller bestechen lassen sollte?

Gerade die Deutsche Regierung könnte von engen Beziehungen zu Pjöngjang profitieren. Kim wäre in der Frage der Flüchtlingsdeals ein wesentlich verlässlicherer Vertragspartner als der unberechenbare Erdo?an. Und durch die Hungersnöte gibt es so viel Wohnungsleerstand in Nordkorea, dass die Migranten keine Probleme hätten, eine Unterkunft zu finden – falls sie unter diesen Umständen überhaupt noch ihre Heimat verlassen wollen.

Aber das das ist doch alles fürchterlich unethisch …

Was auf dem ersten Blich unmoralisch erscheint, kann bei näherem Hinsehen eine höhere Moral offenbaren. Nehmen Sie beispielsweise das Bombenattentat auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund. Ein armer Börsenspekulant wurde durch die Umstände des Systems dazu gezwungen, diesen ethisch höchst fragwürdigen Terrorakt auszuführen, nur damit die Optionsscheine, mit denen er auf den Preisverfall der BVB-Aktie gewettet hatte, an Wert gewinnen konnten. Schlussendlich haben alle dabei verloren: Der Attentäter, der Verein, die Aktie. Sobald Nordkorea sich wirtschaftlich öffnen sollte, werden natürlich alle Schlüsselindustrien von Kim Jong Uns Familienmitgliedern besetzt werden. Und da es eine Obsession des „Großen Führers“ ist, seine Familie auszurotten, kann man verlässlich Optionsscheine für diese Unternehmen kaufen und sogar auf die bizarrsten Todesarten der Cousins, Cousinen und Ehefrauen spekulieren, ohne dass man sich selber die Hände schmutzig machen muss. Und jetzt die höhere Moral von der Geschicht‘: Da die Morde aus Kims Sicht eine politische Notwendigkeit darstellen, sind sie ethisch sogar gedeckelt.

Würde es Kim nicht innenpolitisch schaden, wenn er mit dem Westen gemeinsame Sache machen würde?


Man müsste ihm natürlich im Gegenzug einen Triumph verschaffen, der sein Vorgehen rechtfertigt. Vielleicht sollte man im Südkorea schenken. Nach der Pleite mit dem „Samsung Galaxy 7 Edge“ geht das Land ohnehin vor der Hunde. Und wenn Nordkorea im Gegenzug die US-amerikanischen Militärbasen dort anerkennt, macht doch niemand einen Verlust bei diesem Geschäft.

Aber eine Vorbedingung für eine Annäherung Nordkoreas wäre doch die Einstellung seines Atomwaffenprogramms?

Warum soll der Dicke seine Bombe nicht bekommen? Trump hat sie, Putin hat sie, May hat sie. Allesamt Regierungschefs mit einer ausgewiesenen narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Aber sie würden doch niemals auf die Idee kommen, einen Atomkrieg anzuzetteln, um danach auf ihren luxuriösen Lebensstil zu verzichten. Ein Kim, der in einem Land eingeschlossen ist, das ungefähr so unterhaltsam ist wie Bitterfeld am Totensonntag, macht mir Angst. Ein Kim jedoch, der in der einen Hand einen Double-Cheeseburger und in der anderen eine Maß Weißbier hält, hat keine Hand mehr frei, um auf den roten Knopf zu drücken. Außerdem sehe ich Nordkorea perspektivisch ohnehin in der NATO.

Nordkorea in der NATO? Ein Land, dessen Wertmaßstäbe sich so sehr von denen westlicher Länder unterscheidet? Wäre das bloß zynische Realpolitik? Oder bereits realer Zynismus?

In Zeiten, in denen Psychosen und Paranoia die Welt überfluten, muss man den Wahnsinn auf die Spitze treiben, um wieder festen Grund unter die Füßen zu bekommen.

Herr Prof. Dr. Zweisilb, wir danken Ihnen für dieses realitätsnahe Gespräch.

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