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Die Kunst, die Kunst als Kunst zu verkaufen

Carolyn Christov-Bakargiev über Carolyn Christov-Bakargiev, Carolyn Christov-Bakargiev und nochmals Carolyn Christov-Bakargiev


Carolyn Christov-Bakargiev
Foto: Jean-Baptiste Perronneau

Sehr geehrte Frau Christov-Bakargiev, selten ist vorab so wenig über das Programm und die Teilnehmer einer dOCUMENTA durchgesickert wie bei dieser 13. Auflage des Kunstspektakels. Mit der Skulptur „Idee di Pietra“ von Giuseppe Penone, das einen Stein in einer neun Meter hohen Baumkrone zeigt, hatten sie den Schleier der Geheimhaltung zumindest eine Handbreit gelüpft. Inwieweit ist der Symbolgehalt dieses Kunstwerks für die diesjährige Veranstaltung programmatisch?

Carolyn Christov-Bakargiev (CCB): Ach, der Baum? Wissen sie, Giuseppe ist eigentlich nur unser Gärtner. Die Idee für diese Installation hatte der Baum selbst. Seitdem hat sich kein Hund mehr getraut, das Bein in seiner Nähe zu heben. Ob man das irgendwie symbolisch betrachten kann? Sicher, wenn ich angepisst bin, sollte man auch besser in Deckung gehen ... (CCB rollt mit den Augen)

In ihrer knappen Vorankündigung erklären Sie, dass die dOCUMENTA (13) „von einer ganzheitlichen und nichtlogozentrischen Vision angetrieben“ wird, „die dem beharrlichen Glauben an wirtschaftliches Wachstum skeptisch gegenübersteht“. Was genau meinen sie damit?

CCB: Das weiß ich auch nicht so richtig. Aber ich glaube, dass wir dieses Konzept ganzheitlich sehr gut vermarkten können.

Auf der dOCUMENTA-Homepage begrüßt uns ein Bild des Einbands von Adolfo Bioy Casares „La invención de Morel“. In der Novelle geht es um einen Flüchtling, der auf einer geheimnisvollen Insel landet, deren Einwohner an furchterregenden Krankheiten leiden. Soll die dOCUMENTA (13) den Besucher mit dem Virus der Fremdheit infizieren? Ist die Kunst vielleicht sogar ein Leprageschwür an der Normalität, das die Extremitäten, die tagein tagaus die Hebel der Macht bedienen, abfallen lässt?

CCB: Hierbei handelt es sich offensichtlich um ein Missverständnis. Wir wollten eigentlich ein aussagekräftiges Motiv präsentieren, das zeigt, wie ich normalerweise mit Kritik umgehe. Und so habe ich mich mit dem Arsch auf den Fotokopierer in der Bibliothek gesetzt. Unser Praktikant hat die Kopie dann aber mit der eines anderen Büchereibesuchers verwechselt und – ohne mit mir Rücksprache zu halten – ins Netz gestellt. Es ist eine Unverschämtheit sondergleichen, mein graziles Hinterteil nicht vom Lageplan einer Insel unterscheiden zu können!

Die Teilnehmer der diesjährigen dOCUMENTA sollen nicht nur Künstler sein, sondern „auch aus Bereichen der Wissenschaft, einschließlich Physik und Biologie, Ökoarchitektur und organische Agrikultur, der Forschung nach erneuerbaren Energien, Philosophie, Anthropologie, ökonomische und politische Theorie, Sprach- und Literaturwissenschaften“ kommen. Warum diese Vielfalt an Experten unterschiedlichster Disziplinen?

CCB: Weil sie mir allesamt bescheinigen können, dass ich hervorragende Arbeit leiste ...

Um noch einmal die spärliche Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld der dOCUMENTA zur Sprache zu bringen: Zahlreiche Journalisten kritisieren ihre Informationspolitik als mangelhaft. Warum diese Geheimniskrämerei bis zum letzten Moment?

CCB: Ich bin der Meinung, dass die Kunst die Aura des Geheimnisvollen braucht wie die Luft zum Atmen. Viel zu häufig schon haben selbsternannte Kunstverständige versucht, die Werke einer dOCUMENTA zu Tode zu interpretieren, bevor auch nur der erste Besucher seinen Obolus an unseren Kassenhäuschen entrichten konnte. Deshalb lautet unser Motto dieses Jahr: „Hermetismus statt Hermeneutik“. Rechtzeitig zur Eröffnung haben wir sämtliche Kunstobjekte durch etwas ganz anderes ersetzt, so dass weder die Besucher, noch die versammelte Kunstjournaille einen Bezug zu der eigentlichen Ausstellung herstellen können. Ich finde, dass auch ein Kunstwerk das Recht auf eine Privatsphäre besitzt.

Was sagen denn die betroffen Künstler zu dieser Austauschaktion?

CCB: Die haben wir erst gar nicht in unsere Pläne eingeweiht. Immerhin haben wir uns noch nie zuvor eines so hohen Prozentsatzes weiblicher Kunstschaffender auf einer dOCUMENTA rühmen können, wie dieses Jahr. Und sie wissen doch, wie schwer es uns Frauen fällt, ein Geheimnis zu bewahren ... (CCB schmunzelt ins Mikrofon)

Kritiker werfen ihnen vor, die dOCUMENTA zu ihrer eigenen Selbstdarstellung zu missbrauchen. So soll es auf einer Bilder-CD, mit der sie für die Kunstausstellung werben, so gut wie keine Fotos von den Exponaten geben, dafür aber umso mehr „Glamour-Shoots“ von Carolyn Christov-Bakargiev ...

CCB: Zu Zeiten, in denen es keine Kunst mehr ist, Kunst zu machen, besteht die eigentliche Kunst darin, die Kunst noch als Kunst zu verkaufen. Und so betrachte ich mich berechtigterweise als der eigentliche Star der dOCUMENTA (13). Deshalb werde ich auch bis zum Ende der Ausstellung an jeden zweiten Sonntag des Monats einen Rundgang über das Gelände unternehmen, auf dem mich das Publikum begleiten und vor den einzelnen Artefakten fotografieren kann. Und wenn wir nach Beendigung dieser außerordentlich gelungenen Kunstshow einige ausgewählte Werke zu Gunsten der „Stiftung für ehemalige dOCUMENTA-Kuratoren“ versteigern, werde ich deren Wert durch meine Original-Unterschrift gerne in die Höhe treiben.

Frau Christov-Bakargiev, wir danken ihnen für dieses Gespräch.

CCB: Glauben sie mir, dafür können sie mir gar nicht genug danken.

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