SCHIEFLAGE - Damit Sie in jeder Lage schief gewickelt sind!
Das Magazin für die Wahrung des guten Geschmacks

"Die anderen Kinder sind doch auch nicht so scheiße ..."

"Du bist anders als wir!" Mit diesem Satz beginnt die Nerd-Karriere zahlreicher Schulkinder, von diesem Tag an sind sie die Outlaws der Klassengesellschaft. Und so werden sie an Deutschen Schulen gemobbt, gebasht, und gedisst, was der kleine Raptosaurierkörper hergibt. Dabei sind diese benachteiligten Minderwertigkeiten ja auch so etwas ähnliches wie kleine Menschen, die halt nur das Pech hatten, mit einem Stigma auf die Welt gekommen zu sein. Immer mehr Briefe besorgter Eltern erreichen täglich unsere Redaktion. Eltern, die ratlos sind. Briefe, die unseren Sensationsvoyeurismus befriedigen.

Frau F. aus Troisdorf: "Gemüselutscher, Magermilchgesicht, Reformhausversteher" – das sind noch die harmloseren Beschimpfungen, die mein sechsjähriger Sohn von seinen Mitschülern einstecken muss. Er wiegt nämlich gerade einmal 83 kg und ist der Dünnste in seiner Klasse. Vor ein paar Wochen haben ihn ein paar Klassenkameraden bei McDonald’s auf dem Klo eingeschlossen, einen Burger ans Schlüsselloch gehalten und gespottet: "Da kannst du doch locker durchgreifen!" Muss ich mir Sorgen machen?

Auf jeden Fall, liebe Frau F., denn das könnte eine Riesensauerei geben, wenn Ihr Sohn den Burger durchs Schlüsselloch quetschen würde. Und was fast noch schlimmer ist: Mit seinen 83 kg leidet die halbe Diätfrucht Ihrer Lenden höchstwahrscheinlich bereits unter Magersucht. Sie sollten ihren Sohn unbedingt mit Sprühsahne, Schweinespeck und kaltem Frittenfett aufpäppeln und über eine Magenerweiterung nachdenken. Wenn das nicht hilft, schicken Sie ihn zur Kur auf eine polnische Gänsemastfarm. Deren Methoden sind zwar wissenschaftlich umstritten, aber er kann dann wenigstens mit coolen Ultraschallaufnahmen seiner Stopfleber angeben.

Frau H. aus Halberstadt: Meine Tochter traut sich nicht, sich zu ritzen. Sie geht selbst im Hochsommer nur noch mit langärmeligen Pullovern zur Schule, weil sie sich schämt, sich als einzige in der Klasse ohne sichtbare Narben durchs Leben zu mogeln.

Liebe Frau H. – Wenn Ihre Tochter sich nicht traut, dann ritzen Sie sie doch einfach.

Frau S. aus Haselünne: Ich mache mir solche Sorgen um meinen Sohn Torben. Alle anderen Jungens aus seiner Klasse sind so agil: Sie nutzen ihre Bänke für akrobatische Turnübungen. Sie hüpfen und tanzen durch die Klasse und singen dabei lautstark "Tschu Tschu Tschu die Eisenbahn". Sie hauen rhythmisch mit den Köpfen gegen die Wand und schreien sich dabei voller Frohsinn die Seele aus dem Leib. Mein Sorgenkind hingegen verharrt in Schockstarre auf seinem Stuhl und lernt lieber irgendwelchen theoretischen Kram. Neulich hat mich schon eine Nachbarin darauf angesprochen, ob er denn krank sei, weil er immer so leise die Treppe hochgehen würde.

Liebe Frau S., die ADHS-Forschung steckt im wahrsten Sinne des Wortes noch in den Kinderschuhen, und so sind die meisten Mediziner viel zu hibbelig, um herauszufinden, warum einige wenige Kinder nicht mit dieser Vitalität ausgestattet wurden. Um Ihrem Sohn ein einigermaßen normales Leben zu ermöglichen, verabreichen Sie ihm am besten starken Kaffee, ein paar Zigaretten und rohes Fleisch zum Frühstück. Verbieten Sie ihm außerdem, abends vor 23.00 Uhr ins Bett zu gehen. Lassen sie immer den Fernseher, den Computer, den Staubsauger und die Alarmanlage laufen. In besonders schlimmen Fällen helfen möglicherweise Stroboskoplicht, Flöhe oder Elektroschocks.

Frau W. aus Feucht: Mein Kind schließt mich aus seinem Leben aus! Während sich alle Klassenkameraden von Mutti mit dem Auto von der Schule abholen lassen, besteht mein Florian darauf, die hundert Meter bis zu unserem Haus zu Fuß zurückzulegen, weil er "doch schon groß" sei. Und während alle anderen Mütter jeden Mittag die Sektthermoskannen kreisen lassen und über mich und meinen Flori lästern, stehe ich alleine in der Küche und muss das Mittagessen für meinen missratenen Nachwuchs kochen. Was soll ich bloß tun?

Liebe Frau W. – Ihre tragische Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie mit der "Auffälligkeit" der Kinder oftmals auch die soziale Ausgrenzung ihrer Familienangehörigen einhergeht. Mein Ratschlag: Heuern Sie eine Bande Viertklässler an, Ihren "Großen" gegen eine Flasche Wodka mal so richtig aufzumischen – und Sie werden sehen: Ihr verbimstes Kind wird es gar nicht abwarten können, dass Sie mit dem Auto um die Ecke geschossen kommen.

Frau D. aus Bremerhaven: Oh, mein Gott! Unser kleiner Elias ist das einzige Kind im Hort, das unter Höflichkeit leidet. Warum muss er immer alle Leute grüßen, schwangeren Frauen im Bus seinen Sitzplatz anbieten und den älteren Nachbarn in unserem Haus die Einkaufstaschen hochtragen? Die anderen Kinder sind doch auch nicht so scheiße ...

Liebe Frau D. – für solche Höflichkeitsattacken sind keine organischen Ursachen bekannt. Vielmehr scheint es sich um eine besorgniserregende Form der Neurose zu handeln, die möglicherweise darin wurzelt, dass Sie Ihre Vorbildfunktion nur unzureichend ausgefüllt haben. Zeigen Sie Ihrem kleinen Racker, wie man es besser macht: Pöbeln Sie die Penner im Park an, drängeln Sie sich in jeder Schlange vor, knallen Sie Ihren Nachbarn die Haustür vor der Nase zu und treten Sie der nächsten Embryonenkutsche, die Ihnen in den Öffis kiebig kommt, kräftig in den Bauch. "Siehst du? Die Tante hat jetzt sogar einen Liegendtransport gewonnen." Sie werden sehen, innerhalb weniger Wochen werden seine Lehrer Ihre adoleszente Pestbeule mindestens genauso fürchten wie seine Mitschüler.

Frau M. aus Dresden: Hilfe! Mein Kind soll eingeschult werden, hat aber bereits heimlich ein wenig Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt und kann mehr als drei grammatikalisch wohlgeformte deutsche Sätze am Stück sprechen. Ich weiß weder ein noch – wie heißt das Wort gleich noch mal?

Also, liebe Frau M.: Erstens heiß es nicht "grammatikalisch wohlgeformte Sätze", sondern "Sätze, die wo richtig nach Deutsch klingen tun". Zweitens sollte es sich auch bis in das Tal der Ahnungslosen herumgesprochen haben, dass es inzwischen Privatfernsehen gibt. Wenn Sie natürlich trotzdem den ganzen Tag "Arte" statt "Bohlen", "Phoenix" statt "Katzenberger" und "Sesamstraße" statt "Yu-Gi-Oh!" schauen sollten, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn Ihr Nachwuchs intellektuell kontaminiert wird. Nun, da Ihr Kind ohnehin schon in den Brunnen des Wissens gefallen ist, hilft nur noch das operative Entfernen seines Sprach-, Rechen- und überhaupt jedes Zentrums mit Ausnahme des Einkaufszentrums, damit es nicht gleich an seinem ersten Schultag unangenehm – wie heißt das Wort gleich noch mal?

Frau K. aus Plochingen: Mein Kevin weigert sich, das Nerd-Kind von der Steinerschen zu bashen. Was habe ich bloß falsch gemacht?

Alles, liebe Frau K., einfach alles ...

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