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Eine deutsche Erfolgsgeschichte

Interview mit dem So-als-ob-Unternehmer Jens Erdmann

Herr Erdmann, Sie sind Gründer der überaus erfolgreichen „Erdmann Tiefbau“, die ausschließlich gemeinunnütze Erdarbeiten durchführt. Was dürfen wir uns darunter vorstellen.

Erdmann: Sie haben sicherlich schon zahlreiche unserer Baustellen bei sich in der Umgebung gesehen, die einzig und allein den Sinn haben, zu nichts nutze zu sein.

Aber das klingt nach einer skandalösen Verschwendung von Steuermitteln …

Erdmann: Der Untergrund ist das Fundament der deutschen Erfolgsgeschichte nach dem Krieg. Wenn wir uns die Gesellschaft als Merkel-Raute denken, so stellen die dicken Kanzlerdaumen die einzelnen Bürger dar, die unterirdisch mit den zum Lebensschoße weisenden Fingern „Strom“, „Wasser“, „Gas“ und „Glasfaser“ miteinander verbunden und mit Leben versorgt werden. Eine offene Grube in seiner Straße gibt dem Bürger deshalb das gute Gefühl, am Pulsieren der Stadt teilhaben zu dürfen. Es ist zwar keine Leistung im eigentlichen Sinne, aber dafür bieten wir dem Steuerzahler die gut gemachte Illusion, dass er wirklich etwas für sein Geld geboten bekommt.

Wie sind Sie denn auf diese verblüffende Geschäftsidee gekommen?

Erdmann: Ein befreundeter Baupolitiker hatte bei mir angerufen und mich gefragt, ob ich ihm aus der Patsche helfen könne. Eine Straße in seinem Planungsbezirk musste innerhalb eines Jahres viermal hintereinander aufgerissen und wieder zugeschüttet werden, um Sanierungsarbeiten durchzuführen. Da ausgerechnet auch noch der Bürgermeister in besagter Straße wohnte, fühlten sich die Anwohner benachbarter Straßen benachteiligt und attackierten das Bauamt mit Protestbriefen und -anrufen. „Was soll ich nur machen, Jens?“, fragte er mich. „Ich kann doch nichts dafür, dass deren Kabel und Rohre bereits auf dem neuesten Stand der Technik sind.“ Da habe ich kurzerhand ein paar Kumpel zusammengetrommelt, mir einen Bagger und mehrere Presslufthämmer von einer schlecht gesicherten Baustelle am anderen Ende der Stadt „ausgeliehen“ und innerhalb eines Tages mehrere Straßen in der Umgebung aufgerissen. Damit niemand merkte, dass wir nichts taten, außer so tun, als ob wir etwas tun würden, spannten wir Zelte über die Gruben, in die sich dann zwei Leute in Bauarbeitermontur zum Kartenspielen zurückzogen. Die Anwohner reagierten mit dem üblichen Geschimpfe auf den Baulärm vom Tonband und den Dreck aus dem Staubsaugerbeutel meiner Frau, aber während sie fluchten, huschte meistens ein zufriedenes Lächeln über ihr Gesicht. So haben wir ganz klein angefangen – heute sind wir die größte gemeinunnütze Erdarbeitsfirma Deutschlands, mit mehr als zehntausend gefaketer Baustellen im gesamten Bundesgebiet.

Und es hat sich niemals jemand darüber gewundert, was Sie da gerade zu tun vorgaben?

Erdmann: Anfangs haben wir immer noch versucht, die Löcher, die wir in die Straße gerissen hatten, hinterher wieder so fachgerecht wie möglich zu verschließen. Damit erregten wir bei zahlreichen Anwohnern den Verdacht, dass mit unserer Baufirma irgendetwas nicht stimmen könne, und Begriffe wie „Vetternwirtschaft“ und „Verschwendung von Steuergeldern“ machten sehr schnell die Runde. Wir mussten noch mal alles aufreißen und notdürftig teeren, um die Gemüter wieder zu kühlen. Im Laufe der Zeit haben wir natürlich gelernt, eine Straße so zu hinterlassen, als ob sich die Telekom oder die Stadtwerke daran abreagiert hätten. Außerdem wissen wir inzwischen auch, wie man eine Baustelle so positioniert, dass sie die größtmögliche Behinderung für alle Verkehrsteilnehmer darstellt, obwohl der größte Teil der abgesperrten Fläche den Bauarbeiten selber gar nicht dient. Das wirkt sich gleichzeitig auch gut auf die Psychohygiene einer Stadt aus, denn wenn gefrustete Pendler bereits den Feierabendverkehr zum Aggressionsabbau am Verkehrspartner nutzen können, müssen sie abends nicht mehr ihre Frau und ihre Kinder vertrimmen.

Sie bilden Ihr Personal selber in einer „Akademie des Studiums des gemeinunnützen So-als-ob-Tuns“ aus. Wie darf ich mir das vorstellen?

Erdmann: Bei uns ist es Pflicht, erst mal das Grundstudium des „gemeinen und unnützen Bauarbeiter-so-als-ob-Tuers“ zu absolvieren, wo man unter anderem lernt, wie man ratlos in der Gegend herum steht und so tut, als ob man so tun würde, etwas zu tun zu haben. Oder welche Biersorte man anfangs des Monats trinkt, wenn es frisches Geld gegeben hat, und von welchem Bier man am Ende des Monats Kopfschmerzen bekommt. Welchen Frauen richtige Bauarbeiter hinterherpfeifen würden und von welchen Männern man sich besser nicht auf den Arsch starren lassen sollte, wenn man nicht gerade den Nebenstudiengang des „Village-People-so-als-ob-Tuers“ belegt hat. Und vor allem wie man ein DIXI-Klo benutzt, ohne sich dabei eine Geschlechtskrankheit, Ebola oder schwere Angststörungen einzufangen. Danach können unsere Mitarbeiter mit berufsbegleitenden Studiengängen Karriere als „völlig-unfähiger-Baustellenleiter-so-als-ob-Tuers“ oder als „der-Mann-vom-Amt-ist-zu-Besuch-so-als-ob-Tuers“ machen und genauso ratlos in der Gegend herum stehen.

Wie ich Ihren Info-Flyern entnehmen konnte, lernt man bei Ihnen auch, wie man verrottete Bauzäune herstellt und mit Plakaten beklebt, die für Jahre zurückliegende Konzerte werben. Man lernt, wo Rohre und Kabel vom Lastwagen fallen, um sie dekorativ auf der eigenen Baustelle zu verteilen. Und man lernt, wie man aus Einwegdosen kostengünstig Attrappen bastelt, die von schwerem Baugerät im Vorbeifahren nicht zu unterscheiden sind. Sie scheinen in Ihrer Firma alles selber zu machen ...

Erdmann: Wir arbeiten inzwischen auch mit Subunternehmen wie den „Kampfmittelplatzierern“ zusammen. Sie beliefern uns mit Blindgängerattrappen, die wir zu einem gewünschten Termin in unserer Baugrube „entdecken“ können. Während der Evakuierung können wir es uns dann gemütlich machen und irgendwelchen Spinnern mit Sturmhauben und Springerstiefeln dabei zuschauen, wie sie hektisch herumlaufen und in Wohnungen einbrechen. Was sie da machen, wissen wir allerdings nicht. Übrigens tun die Kampfmittelplatzierer inzwischen gar nicht mehr so, als ob sie die Attrappe dann wirklich entschärfen würden. Wir haben einen entsprechenden Clip in einem Fernsehstudio mit Berufsschauspielern drehen lassen, und der wird jetzt immer wieder in den Nachrichten gesendet, wenn irgendwo eine Bombe gefunden wurde. Das fällt niemandem auf, wenn es nur eine Wiederholung ist.

Können Sie sich an ein bestimmtes Projekt besonders gut erinnern?

Erdmann: Unser größter Auftrag war der Main-Donau-Kanal, wo wir jahrelang so tun mussten, als ob es ihn wirklich gäbe. Die Täuschung war schließlich so perfekt, dass die Grube – bevor wir sie wieder schließen konnten – mit Wasser volllief und seitdem tatsächlich befahrbar ist. So einen Riesenschwindel kann sich eine Landesregierung allerdings leider nur alle hundert Jahre leisten.

Und was sind Ihre Ziele für die nächsten Jahre?

Erdmann: Wir wollen jetzt auch in den gemeinunnützen Hochbau einsteigen. Einige finanzschwache Kommunen haben wegen Potemkinscher Dörfer angefragt. Mit ein paar Bauzäunen, einem Kran und einigen ökologisch abbaubaren Bauruinen soll sozialer Wohnungsbau simuliert werden. Und die AfD hat uns beauftragt, im Osten der Republik in zwanzig ausgewählten Wahlkreisen „irgend etwas aus dem Boden zu stampfen, was sich als mögliches neues Flüchtlingsheim entpuppen könnte.“ Mit der Ähnlichkeit nimmt man es nicht so genau, weil die Attrappen ohnehin ganz schnell niedergebrannt werden werden.

Vielen Dank für das Gespräch. Dann kann man nur so tun, als ob man Ihnen irgendwas wünschen würde ...

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