SCHIEFLAGE - Damit Sie in jeder Lage schief gewickelt sind!
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Großwildjagd

„Ist das ihre erste Safari?“ – Es ist mir unangenehm, dass ich so offensichtlich als Novize aus der Jagdgesellschaft heraussteche. „Vorsicht, Schlagloch!“ - Der Jeep springt in die Höhe, ich verliere meinen Tropenhelm. „Was hat mich verraten?“ frage ich den Veteranen neben mir, während ich sehnsüchtig meiner Kopfbedeckung hinterher schaue. Der zeigt nur bedeutsam auf seinen Gewehrkolben. Dort kleben mindestens zwanzig Aufkleber, die Eingeborene mit Speer und Schild beim Kriegstanz abbilden. „Jagen sie Indianer?“ scherze ich, wohlwissend, dass die kleinen Abziehbilder stellvertretend für bereits erlegtes Großwild stehen. Der Mann geht auf meinen Witz ein und raunt: „Neger! Dreiundzwanzig Schwarzkittel! 2006 in Botswana zur Strecke gebracht.“ Die junge blonde Frau, die mir schon im Hotel unangenehm aufgefallen war, lacht hysterisch auf. „Ich hoffe, mein Mann schießt mir heute auch einen Schwatten. Der wird ausgestopft und dann baue ich mir einen ganz besonderen Stuhl daraus. Sie wissen schon, diese Afrikaner sollen ja ganz prächtig ausgestattet sein.“ Ihr Vater, oder vielleicht auch ihr Ehemann fügt süffisant hinzu: „Ich hatte der Doreen mal zum Geburtstag einen lebendigen Schoko geschenkt – einen Asylbewerber, den mir ein befreundeter Kommunalpolitiker mal für ’nen Appel und ’nen Ei besorgt hat. Der hat gestunken wie ’ne ganze Pavianherde. Und bis wir den auf die Doreen draufgeschafft hatten, also nee, da fahren wir mit ’nem Ausgestopften besser.“ Nun wird es mir langsam zuviel und ich weise die Gesellschaft darauf hin, dass ich diese rassistischen Sprüche nicht hören will. „Was heißt denn hier rassistisch?“ mischt sich der Fahrer, ein älterer Glatzkopf in Khaki-Uniform, ein. „In Deutschland kriegt man doch schon Ärger, wenn man nur mal eine kleine Treibjagd auf Studenten, Gewerkschafter oder andere Spinner veranstaltet. Bei uns im Osten damals war das ganz anders. In unserem Wachregiment hatte jeder sein eigenes Revier, da konnte er schießen, wen er wollte. Und wenn da einer den Hasen gemacht hat und wir ihm dann den Rücken spicken mussten, da hieß es dann auch nicht gleich: ‚Herr Sobotzeck, das müssen sie dem Herrn Staatsanwalt jetzt aber mal erklären!’“ – „Traurige Zeiten für Großwildjäger. Wenn sie mal wieder ein Problem haben, rufen sie bei mir an.“ Mein Nachbar nestelt in seiner Westentasche und holt eine Visitenkarte heraus. „Mit der unteren Durchwahl werden sie direkt zu mir durchgestellt. Ich habe in meinem Betrieb einen Hochofen stehen, den ich auf mehr als 2000° Celsius anheizen kann. Da verschwindet jeder Beweis auf Nimmerwiedersehen.“ – „Karl-Heinz, erzähl doch mal die Geschichte von dem Kinderschänder!“ krakelt Doreen dazwischen. Karl-Heinz zündet sich einen Zigarillo an, saugt ein paar mal daran, wie um die Spannung zu steigern, und fängt dann an, das wüsteste Jägergarn zu spinnen: „Wir konnten mal gut mit einem Polizeiinspektor, der hatte uns einen Tipp gegeben, weil er einen Kinderficker wegen mangelnder Beweise freilassen musste. Meine Jagdfreunde und ich sind also gleich auf die Pirsch gegangen, aber die Spur war schon so kalt wie die Nase meines treuen Jagdhundes. Und als wir den Halodri schließlich an einem Wasserloch in der Lüneburger Heide aufgespürt hatten, sahen wir, dass uns irgendeine Bürgerwehr zuvorgekommen war. Barbarisch, wie sie mit dem Mann umgegangen waren. Einfach den Schwanz abgerissen, nicht fachmännisch ausgeweidet ... ich konnte eine Woche lang nicht mehr ruhig schlafen.“ Der Industrielle neben mir nickt verbittert: „Und dann schiebt man Experten wie uns solche Gräueltaten in die Schuhe. Aber wartet’s ab, Leute, spätestens zur nächsten Wahl, da brauchen sie uns wieder, wenn die Arbeitslosenzahl immer noch zu hoch ist und die Abschussquoten festgelegt werden.“ Herr Sobotzeck lacht verächtlich: „Pah, Sozialschmarotzer schießen, das ist doch kein Sport. Die liegen den ganzen Tag im Bett, fressen sich auf unsere Kosten einen fetten Wanst an und kommen keine drei Meter mehr aus eigener Kraft von der Stelle. Die Hottentotten hier, die sind Großwild. Durchtrainiert Burschen, die ganz instinktiv handeln. Die wissen genau, wann sie einen Haken schlagen müssen, um zu überleben.“ Karl-Heinz zieht genüsslich an seinem Zigarillo: „Der Spaß kostet uns ja auch einiges. Der hiesige Provinzdiktator verlangt ja ein ganz schönes Bakschisch dafür, dass wir seine schwarzen Brüder jagen dürfen. Dabei ist der Begriff „Bruder“ ja wohl ein Hohn: falscher Stamm, falsche Götter, falsche Sprache. Der kann doch eigentlich froh sein, dass wir seiner teuren Berufsarmee die Arbeit abnehmen.“ Großwildjäger sind für ihren derben Humor bekannt, und so klinke ich mich aus dem widerwärtigen Gespräch gedanklich aus, sehe die karge Landschaft an mir vorüberziehen, Kilometer um Kilometer. Und während Doreen zum x-ten Male ihr „Karl-Heinz, erzähl doch mal“ anstimmt, fallen mir langsam die Augen zu und ich träume von wilden Tieren, die Doreen mit doppelläufigen Jagdflinten verfolgen.

Mit einem Ruck werde ich unsanft aus dem Schlaf gerissen. Der Jeep hat offenbar scharf gewendet und fährt nun langsam in die entgegengesetzte Richtung. Der Industrielle neben mir legt den Finger auf seinen Lippen. „Großwild!“ flüstert er begeistert und zeigt in die Ferne. Mein Blick folgt seinem Finger, kann aber nichts weiter entdecken als einen Einheimischen, der mit zwei verbeulten Wasserkanistern in der Hand seiner Wege zieht. Auf ein vereinbartes Zeichen hin legen die Jäger ihre Gewehre an und feuern ...

Ich weiß nicht, wie lange der Schock angedauert hat. Meine Hände zittern, und alles außer diesem Zittern erscheint mir gespenstisch irreal. Ich sehe, wie die Extremitäten des auf der Motorhaube festgebunden Einheimischen grotesk im Takt der Schlaglöcher auf und nieder tanzen. Die Totenstarre scheint noch nicht eingesetzt zu haben. Der Industrielle klebt gerade einen weiteren Aufkleber auf seine Waffe. „Einen Menschen ...!“ stammle ich. „Sie haben einen Menschen erschossen!“ Karl-Heinz schaut mich unverständig an. „Was, um alles in der Welt, hätten wir den sonst schießen sollen?“ – „Keine Ahnung! Löwen, Gazellen, Gnus, meinetwegen Elefanten ... aber doch bitte keinen Menschen!“ Entsetzen spiegelt sich plötzlich in Doreens Gesicht wider. Empört kreischt sie mich an: „Was bist du denn für einer? Willst wohl unschuldige Tiere töten, was?“ Und Karl-Heinz ergänzt: „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz.“ – „Wie viele Tierarten müssen noch aussterben, bevor der Mensch begreift, was er der Schöpfung damit antut?“ raunzt mich der Industrielle vorwurfsvoll an. „Moment mal!“ stößt Doreen hervor. „Jetzt weiß ich, wieso mir sein Gesicht so bekannt vorkommt. Ich hab diesen Perversen gestern Abend im Hotelrestaurant dabei beobachtet, wie er sich an der Fleischtheke gütlich getan hat.“ Sofort bringt Herr Sobotzeck den Wagen zum Stehen und flüstert heiser: „Ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn sie uns jetzt verlassen würden, Mister!“ Doreen kaut unruhig an ihren Fingernägeln, Karl-Heinz spuckt vor mir aus, der Industrielle leckt genüsslich den Lauf seiner Flinte.

Ich bewege mich betont langsam vom Wagen weg, ohne mich dabei umzuschauen. In weiter Höhe kreisen ein paar Aasfresser, angelockt vielleicht vom Blutgeruch des Schwarzen auf der Kühlerhaube. Es lastet eine unheilvolle Stille auf der Serengeti.

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